Chers Amis de la Rue Poncelet,
Es muss so um die Weihnachtszeit gewesen sein. Wir verbrachten ein herrliches, unbeschwertes Wochenende in Paris. Das war damals, als wir die Wohnung noch nicht mit Ihnen teilten. Wir gingen ins Theater – „Théatre des Bouffes du Nord“. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, was wir gesehen haben, nur daran, dass der Abend wunderschön war, wir genossen die Zweisamkeit und dieses „raus aus dem Alltag“.
Nach dem Theater schlemmten wir im Restaurant l’Huitrier, dem Fischrestaurant in der Rue Saussier Leroy ganz in der Nähe der Rue Poncelet, ein „plateau de fruits de mer“, eine grosse Platte mit Meeresfrüchten, wie man sie so nur in Paris findet. Schliesslich ist 22 Uhr in Paris immer noch eine christliche Zeit zum Abendessen!
Auf dem Heimweg vor dem Hauptportal, versuchte ich den Schlüssel aus meiner Handtasche zu fischen. Er war nicht da. Ich räumte jede Seitentasche aus, inspizierte Mantel- und Hosentaschen, mir wurde ganz heiß vor Schreck. Hatte ich den Schlüssel verloren? Wir gingen zurück ins Restaurant, krochen auf dem Boden herum, ohne Erfolg. Sollte der Schlüssel vielleicht im Theater unter den Sitz gefallen sein? Es war kurz vor Mitternacht. Was tun? In Paris gab es derzeit keinen zweiten Schlüssel von der Wohnung in der Rue Poncelet
Nun wäre es das perfekte Szenario für einen Ehekrach gewesen, doch mein Mann reagierte ganz gelassen: „Dann gehen wir eben ins Hotel“, sagte er. Gott sei Dank lag das Hotel Niel in der gleichen Strasse. Was glauben Sie, was sich so ein Nacht-Concierge wohl denkt, wenn ein Pärchen um Mitternacht ein Hotelzimmer bucht? Er ließ sich nichts anmerken und gab uns ein Zimmer für den Rest der Nacht. Das Hotel war damals noch nicht renoviert und nur ein ** Hotel. Es gab nur ein Waschbecken und keine Seife. Deshalb erinnere ich mich nur zu gut an den schalen, pelzigen Geschmack in meinem Mund am nächsten Morgen, und an meine Finger, die nach Schalentieren rochen!
Ich rief das Theater an: „Ach wie schade“ meinte die Dame, „Sie hätten gestern Abend ruhig nochmal vorbeikommen können! Am besten Sie kommen jetzt gegen Mittag ins Theater, dann können Sie in Ruhe nach dem Schlüssel suchen.“ Er lag unübersehbar auf dem Boden vor meinem Theatersessel.
Ich verabschiede mich von Ihnen und dem Jahr 2022, und wünsche Ihnen Frohe Weihnachten!
Bleiben Sie gesund und zuversichtlich im Neuen Jahr. Sollte sich der Alltag einmal grau in grau gestalten, dann denken Sie an die kleine Wohnung in der Rue Poncelet und den blauen Himmel über den Dächern von Paris.
