Geschichten aus Paris 5/19 – Auszeit vom Alltag

Blick auf Sacre Coeur
Blick auf Sacre Coeur

Jedes Jahr im August gönne ich mir eine Auszeit in Paris.  Knappe 4 Tage waren es diesmal, genau so viel, wie einige meiner Gäste für eine Städtereise veranschlagen. Ich liebe den August, denn Paris ist so entspannend, es sind nur begeisterte Touristen unterwegs, und ich gehöre dazu! Damit ich von diesen kostbaren Momenten nichts vergesse, habe ich mir alles notiert:

August 2019

Paris Tag 1

Für die 500km von Straßburg nach Paris brauche ich von Tür zu Tür 3 Stunden, davon etwas mehr als die Hälfte mit dem TGV! Leider hält der Bus N° 30 nicht mehr am Gare de l’Est. Pigalle ist jetzt die Endstation. Also quetsche ich mich in die Metro. Kein Zweifel, ganze Kontinente sind hier unterwegs. Abgesehen von Nordeuropäern, begegne ich hautnah Menschen in indischen Saris, afrikanischen Bubus und Japanern mit Mundschutz – (mal ehrlich, in der Métro kann letzteres tatsächlich ganz praktisch sein).

Die Rue Poncelet sieht verschlafen aus. Es ist Sonntagnachmittag, die Geschäfte sind zu, die Stände abgeräumt, die Müllabfuhr hat schon saubergemacht. Auf der Terrasse der Brasserie Dada gibt es noch Plätze an den winzigen Tischen. Im Hof der N° 10 blühen die Blumen, und die Wohnung auf der 4. Etage enttäuscht mich nie: hell, freundlich, und natürlich blitzeblank, dank Olivia.  Doch auch Olivia – meine Fee – scheint im Ferienmodus: ein paar frische Blumen – so wie sie dort immer für Gäste stehen – hätten auch mir Freude gemacht. Nun denn, es gibt ja noch die kleine grüne Pflanze. Sie ist mein Maskottchen und übersteht wochenlange Durststrecken. Mein Sohn kam eines Tages mit einem kleinen Ableger im Yogurtbecher aus dem Kindergarten nach Hause, wahrscheinlich ein Geschenk zum Muttertag! (kennen Sie auch?) Das ist schon lange her, inzwischen hat er selbst einen Sohn im gleichen Alter, aber die kleine grüne Pflanze in Paris existiert immer noch.   

Bei Kaffee und Kuchen zur Stärkung nach der Reise, lese ich in meinem Gästebuch den Eintrag des letzten Besuchs. Darin schreibt der 12jährige Sohn: „es waren die tollsten Ferien meines Lebens, wir kommen wieder!“ Ich verschlucke mich fast am Kaffee. Die Familie hatte nämlich Pech mit ihrer Ferienwoche, es war Hitzewelle in Paris und die Temperatur am Abreisetag 42,6°.

Es wird Zeit für mich, Paris zu erobern. Ich kann der Versuchung nicht widerstehen und bummele am späten Sonntagnachmittag schon mal durch die Geschäfte an der Avenue des Ternes. Mit Erfolg!  Mit einer großen Einkaufstasche von Monoprix geht es in Richtung Champs Elysées. Ich sehe damit natürlich sofort aus wie eine waschechte Pariserin. Das gefällt mir, denn Louis Vuitton hat hier jeder Tourist (aus Fern-Ost) drauf. Ich will heute den Arc de Triomphe besteigen, doch bevor ich mich geduldig in die Warteschlange einreihe, schaue ich mir das Denkmal erst mal von Weitem an, und zwar bei einem Bier auf der Terrasse vom Drugstore auf der Avenue des Champs Elysées, natürlich mit Blick auf den Triumphbogen. Er sieht genauso aus wie auf der Titelseite meines Buches („Geschichten aus Paris und der Rue Poncelet“), nur fehlt das Strassenschild „Rue Poncelet“, das haben wir beim Lay-Out einfach draufgemogelt. Übrigens: wer ein „demi“, also ein „halbes“ Bier bestellt, bekommt nicht etwa einen halben Liter. Ein „demi“ sind 25cl, fragen Sie mich nicht warum!

Warum muss man unbedingt auf dem Triumphbogen gewesen sein? Er gehört a) zum Pflichtprogramm aller meiner Gäste, denn es ist mein persönliches Pariser Wahrzeichen, da ganz in der Nähe und b) ist der Blick von oben sensationell, obwohl das Gebäude gar nicht so hoch ist (nur 284 Stufen, einen Aufzug gibt es nur für Schwerbehinderte…). 12 Prachtalleen gehen sternförmig von ihm aus, und in der Ferne sieht man den Eiffelturm. Und last not least bekam er gerade ein Lifting, nachdem die Gelbwesten ihn – zur Empörung aller – im November arg ramponiert hatten. Ursprünglich von Napoléon I. zu Ehren der „Grande Armée“ geplant, ist er immer wieder Schauplatz großer nationaler Veranstaltungen. Und ich kann Ihnen versichern, im nächsten Jahr läuft er dem Eiffelturm und Notre Dame den Rang ab, denn dann verpackt der Verhüllungskünstler Christo das Denkmal mit 25 000m2 silberblauem Material und 7 000m rotem Seil (19. September bis 4. Oktober 2020).

 

Tag 2

King Tut“ ist im Moment der Besuchermagnet in Paris. Noch bis zum 22. September kann man den Schatz des Pharaon‘s Tutanchamon im Pariser Kulturpark La Villette bestaunen.  5 400 Objekte hatte Howard Carter 1922 in den Grabkammern des jungen Königs in Ägypten entdeckt, 150 davon sind jetzt in Paris in dieser gigantischen Ausstellung in Szene gesetzt. Kein Wunder, dass schon über eine Millionen Besucher dort waren. Natürlich habe ich keine Vorreservierung – ein bisschen Abenteuer muss sein – Meinen Septembergästen lege ich allerdings ans Herz, Karten vorher zu buchen.

 Die Ausstellung hat mich tief beeindruckt, allerdings nicht nur wegen der 3000 Jahre alten Kunstschätze, sondern auch aus einem anderen Grund: Vor einigen Jahren verbrachten mein Mann und ich ganz allein eine Woche in Luxor. Einmal fuhren wir mit der Fähre auf die andere Seite des Nils, durchquerten riesige Zuckerrohrplantagen, und kamen über einem staubigen Pfad von oben herab ins Tal der Könige. Ein Anblick, den man nie vergisst. Es war schon mittags und alle Touristenbusse fuhren gerade wieder zurück zu ihren Kreuzfahrtschiffen. Wir hatten das Privileg, einige der Gräber ganz in Ruhe besichtigen zu können. Die Tutanchamon Ausstellung heute in Paris hat diese starken Erinnerungen aufleben lassen.

Nun sollen ja eigentlich solche Eindrücke nachklingen. Doch was tue ich als guter Tourist? Ich stürze mich ins nächste Abenteuer. Ich wollte schon immer mal wissen, wie es sich anfühlt schwerelos wie ein Astronaut zu sein. In der benachbarten Einkaufsgalerie Vill-Up gibt es einen 14m hohen, gläsernen Windkanal, in dem Jedermann dieses Gefühl nachvollziehen kann. Ein halbes Dutzend Kandidaten warten schon auf den Auftritt. Ein Coach hilft gerade einem „Superman“ im Windkanal beim Abheben. Ich bin enttäuscht, denn er schafft es nur bis knapp über den Boden. Ich schaue mir das Schauspiel eine Weile an und entscheide: ich will doch nicht schwerelos sein, also nichts wie weg.

Eine halbe Stunde später stehe ich auf dem Platz vor dem großen alten Rathaus, dort beginnt am Seine-Ufer „Paris Plage / Strandbad Paris“ und erstreckt sich über mehrere Kilometer entlang des Flusses, im Sommer tanzt dort der Bär zu jeder Tages- und Nachtzeit. Doch für heute reichts, außerdem knurrt mein Magen. Also lieber in ein gemütliches Restaurant. Um die Ecke von „Zuhause“ liegt das Restaurant „Ateliers du Marché“, der ideale Ort zum Wohlfühlen. Und da ich davon Abstand genommen habe, schwerelos wie eine Feder durch die Lüfte zu gleiten, genehmige ich mir einen gebackenen Kalbsknochen. Das Knochenmark bestreut man mit grobem Salz und verspeist es mit Toast. Es hat mindestens 1 000 Kalorien, ist aber eine unwiderstehlich leckere Vorspeise!

 

Tag 3

Himmlische Ruhe in der Wohnung im 4. Stock der Rue Poncelet. Keine Musik, keine Nachrichten, keine Zeitungen. In unserem Treppenhaus ist nur die nette Familie mit dem geschichtsträchtigen, adeligen Namen noch nicht in die Ferien abgereist. Einige Geschäfte auf dem Markt machen ebenfalls Sommerpause, doch der Fischhändler, Fleischer, Bäcker, Weinhändler, die Kaffeerösterei, der Grieche und Madame du Barry sind noch da. Wobei mit Madame du Barry nicht die Maîtresse Königs Ludwig des XV. gemeint ist, sondern der Delikatessenladen.  

Es fühlt sich an, als sei es jeden Tag Sonntag in Paris. Man kann bei Rot über die Ampel gehen und kommt lebend davon. Das gibt es nur im Sommer.

Mein Ziel heute ist das gerade renovierte Museum von Honoré de Balzac, dem französischen Schriftsteller aus dem 19. Jahrhundert. Der Louvre ist mir zu voll (10 Millionen pflichtbewusste Touristen pro Jahr). Vor der winzigen Mona Lisa steht man in Dreierreihen. Das macht doch keinen Spaß. Das Museum von Balzac hingegen – ein Gartenhäuschen im 16. Arrondissement – hat man fast ganz für sich allein. Ein Kontrastprogramm, denn auf dem Weg kommt man automatisch am Trocadéro oberhalb des Eiffelturms vorbei, und da – das schwöre ich – ist man zu keiner Zeit allein. Die Touristen stehen übrigens zum größten Teil mit dem Rücken zum Eiffelturm, das ist im Zeitalter der Selfies wohl normal. Keine hundert Meter weiter herrscht sonntägliche Stille, Ich schaue mir die herrschaftlichen Wohnhäuser an, die verglasten Eingänge mit Blick auf Privatparks. Ganz klar: hier wohnt Geld!

In der Rue Raynouard N° 47 liegt das Haus mit den grünen Fensterläden aus einer anderen Zeit in einem Garten, eingekuschelt zwischen 2 stattlichen Wohnblocks. Hier schrieb Honoré de Balzac seine Meisterwerke in einem kleinen Büro an einem ganz einfachen Tisch und wurde einer der größten Romanautoren der französischen Literatur. In den anderen Räumen: Portraits, Souvenirs, Briefe und Manuskripte mit unzähligen Überarbeitungen. Das erste Kapitel von „die alte Jungfer“ soll er neunmal, das zweite Kapital sogar dreizehnmal umgeschrieben haben. Ich stehe mit Bewunderung davor und finde keine Worte mehr.  Nach dem Höhenflug in die französische Literatur ist es Zeit für einen Kaffee in Balzacs verwunschenem Garten.

Am Abend habe ich ein Rendez-vous mit meinem Bügelbrett. Zur Unterhaltung läuft der Fernseher, doch die französischen Programme sind genauso grottenschlecht wie die Deutschen, oder liegt es an Paris, dieser faszinierenden Stadt, mit der sich kein Feuilleton messen kann?

 

Tag 4 – Abreise

Noch einmal gemütlich frühstücken mit frischen Croissants vom Marktin der Rue Poncelet, noch ein bisschen aufräumen, ein bisschen packen, ein bisschen bummeln, ein bisschen einkaufen und schon ist es Zeit für den Zug zurück in den Alltag.

 

 

 

 

 

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